Der kommende Morgen begann schon vor dem Sonnenaufgang, da die Wachablösung in dieser Nacht in solch einem Durcheinander geschah, dass zum Ende hin durch den Radau auch die letzten Schläfer noch aus ihrem Schlummer gerissen wurden.
Nach Meditation und Gebet vehieß die Sonne, dass dies ein schöner Tag würde. Also brachen sie kurz nach dem Sonnenaufgang auf und fuhren das Gespann bis vor die große Lichtung, oder besser gesagt bis zur Kristallstadt der Feelibri vergangener Tage.
Für Janina war dieser Weg härter als sonst, da sie versuchte ihr Einhorn zu reiten, welches aber offensichtlich noch nicht bereit war sie als Reiterin zu akzeptieren. Dennoch versuchte sie es konsequent weiter, bis sie abgeworfen wurde und letztlich rasch hinterher laufen mußte. Lanyssa hatte es viel leichter mit ihrer Einhornstute, die sich als viel gutmütiger und williger herausstellte, was ihr als ungekonnte Reiterin nur willkommen war.
Kraenor stoppte nach verlassen des Waldwegs den Wagen, und sie waren ein wenig verwundert, dass sie bisher keine der Frauen hier angetroffen hatten.
Nachdenklich sondierten sie ihr Umfeld, und stellten fest, dass die großen Behältnisse, die den Frauen als Schlafstätte gedient hatten, ebenfalls fort waren. Allerdings fanden sie auf dem Boden Schleifspuren, welche sich in nordöstliche Richtung neben dem Stadtrand entlang zogen.
Sie teilten sich auf. Ein Teil wollte in der Stadt nach Spuren suchen, und die anderen den Schleifspuren weiter folgen. Zum Teil hatte Sorge sie erfaßt, dass hier vielleicht doch gar nicht alles so in Ordnung sei, wie sie erhofft hatten.
Lanyssa ritt gemäßigt, aber doch als erste zwischen die Bäume am nordöstlichen Ende um dort nach Spuren über den Verbleib der vielen Frauen zu sehen. Janina mühte sich erneut ab, den widerspenstigen Einhornhengst zu reiten, und als die Stute mit Lanyssa auf dem Rücken zwischen den Bäumen verschwand streckte sich das Tier in plötzlichem Galopp und preschte los.
Die Stute ließ sich von dem ungestümen Verhalten anstecken, und letztlich stoppte ein tiefhängender Ast die beiden Reiterinnen, die jäh vom Rücken ihrer Tiere gerissen wurden und sitzlings auf den Waldboden schlugen.
Aus dieser Position heraus sah Lanyssa es: über ihnen hingen die Schlafkugeln in den Baumwipfeln und dazwischen spannten sich abenteuerlich aussehende Seilkonstruktionen, zu denen man nur mit viel Mut "Brücke" sagen würde. Sie wurde sogar einer Bewegung dort oben gewahr und rief ein kräftiges "Hallo!" hinauf.
Ihr wurde sogar geantwortet, und nach einer kurzen Weile setzte sich eine dieser eiförmigen Gebilde in Bewegung und wurde mit knarrendem Geräusch hinab auf den Boden gelassen.
Basgalogaz, der inzwischen schon eingetroffen war, drehte rasch um und flog über die Stadt zu Sennerath, Kraenor, Pia-Veliah, Niaji und ihrer stummen Begleiterin, deren Namen sie nicht wußten. Er gab ihnen rasch zu verstehen, dass sie wohl die Frauen gefunden hatten und flog wieder zurück zu den beiden.
Dort war eine der Frauen mitsamt dem Gebilde zu Boden gelassen worden. Gekleidet war sie in geflochtenem Blattwerk. An ihr Gesicht konnte sich keiner erinnern, aber ihr Leib ließ sie darauf schließen, dass sie wohl zu den Geretteten gehörte.
Im Laufe des Gesprächs erfuhren sie, das schon ein kanppes dutzend Säuglinge gesund und munter ihren Weg gefunden hatten. Außerdem waren die Frauen tatsächlich erst genau an diesem Vormittag mit dem Bau ihrer "Stadt" fertig geworden. Sie hatten sich entschlossen ihre Unterkünfte in die Wipfel hinauf zu verlegen um erst mal weniger auf wilde Tiere achten zu müssen.
Man sagte ihr, dass man sich unterwegs darauf geeinigt hatte den Frauen hier Unterstützung zukommen zu lassen und verlor sich dann in einer Diskussion untereinander, wie man mit oder ohne Kutsche Sachen aus den nächsten Stadt hierher bringen könnte. Dann debattierte man darüber, ob man welche von ihnen mitnehmen sollte, oder ob sie sich kurzfristig trennen müßten.
Bei dem Wort Trennung wurde Pia-Veliah ernst, und druckste herum, während man merkte, dass ihr etwas auf dem Herzen lag.
Sie offenbarte den anderen, dass ihr die Aufregung hier zu viel würde. Sie hätte vorher noch nie kämpfen müssen, und auch das Leben würde ihr so nicht zusagen. Sie würde jetzt umgehend nach Hause zurückkehren wollen.
Auf die Frage von Basgalogaz nach dem Wie erklärte sie, dass sie eine räumliche Verzerrung nutzen wolle um direkt zu ihren Elten zu gehen. Er fragte noch, wieviel Zeit dies kosten würde und ob andere mitgehen könnten, und als ihre Antworten "etwa 3-4 Herzschläge" und "ja" lauteten, verschaffte er sich bei den Planenden Gehör.
Seine Idee war folgende: sie sollten mit Pia-Veliah gehen und dort in der Stadt alle nötigen Sachen einkaufen. Immerhin wäre ihre Heimatstadt (Tidford) groß, und von dem kommenden Ort 2-3 Tagesreisen von hier entfernt wüßte man ja nicht einmal wie groß er sei.
Also war es beschlossen, doch den drei Kämpferinnen unter ihnen war diese Form des Reisens zu suspekt.
Janina, Lanyssa und die Stumme zogen es vor hier zu bleiben. Janina war sogar noch unnachgiebiger: sie würden zu dem Ort weiterziehen und wenn die anderen vier Daoi später noch nicht nachgekommen waren, so würden sie weiter ziehen.
Darauf einigten sie sich.
Eine handvoll der hier nun ansässigen Frauen kam als Gruppe für den Einkauf der notwendigsten Dinge mit, und ein jeder überließ ihnen eine gewisse Menge ihres bereits aufgeteilten Goldvorrats.
Also zeichnete Pia-Veliah eine Rune auf den Boden, welche sich mit der Zielrune bei ihr zu Hause verbinden sollte, so dass nach einer Weile dort ein golden schimmerndes Oval in der Luft stand.
Basgalogaz, Sennerath, Niaji, Kraenor und die ausgewählten Frauen betraten vor Pia-Veliah das Tor und für alle war es eine Erfahrung, die man nicht gern ein zweites Mal macht. Nach dem Schritt in das Licht übermannte einen das Gefühl, als ob jemand einen an den Haaren in die Länge zieht, während die Füße auf dem Boden stehen blieben. Und als man das Gefühl hatte nur noch fadendünn zu sein schien sich die Klammer an den Füßen zu lösen und einem Gummiband gleich federte man wieder zusammen.
Am anderen Ende angekommen befanden sie sich in einem Keller, und zur Begrüßung ihrer sie dort erwartenden Gastgeberin übergaben sich erst einmal ein paar von ihnen.
Mit Grausen dachten sie daran, dass sie diese Erfahrung noch einmal in die Rückrichtung würden haben müssen.
Erst jetzt wurden sie langsam ihrer Umgebung gewahr.
Der Keller wurde erleuchtet von in der Luft schwebenden Kugeln, welche ein warmes Licht ausströmten. Überhaupt war es hier drinnen ein wenig schwül, und plötzlich schrie eine der Frauen auf. Überall an Boden, Wänden und der Decke krabbelten handtellergroße Spinnen.
Ihre Gastgeberin stellte sich als Shandra vor, was bei Sennerath beinahe ungläubiges Staunen hervorrief: "etwa DIE Shandra?", welches sie mit einem Lachen bestätigte. Sie waren in der magischen Universität von Tidford angekommen, deren Leiter Shandra und Weiswind waren.
Dieser war in der Zwischenzeit auch eingetroffen, und nachdem Pia-Veliah und ihre Eltern sich aufs herzlichste begrüßt hatten, wurden auch sie respektvoll und freundlich empfangen. Die Spinnen waren ihnen dennoch sehr suspekt, und als Pia-Veliah die Frage nach der Giftigkeit bestätigte wollten sie nur noch weg von dort. Ihr Gastgeber erklärte ihnen aber, dass die Spinnen nur bei Leuten aggresiv würden, die hier ungebeten wären. Sie seien eine effektive Waffe gegen einen ungebetenen Gast.
Man versprach ihnen, dass ihnen jemand zur Begleitung in die Stadt mitgeschickt würde, und dass sie dank der Fürsprache der Universität dort entsprechend Nachlässe bekommen würden. Und nachdem man im Gespräch vertieft aus dem Keller heraus gekommen war (einiges Aufatmen war zu merken), betraten sie einen geschäftig gefüllten Innenhof, der von jungen Leuten erfüllt war. Die ungestellte Frage, warum Shandra denn nicht selbst mitkäme, beantworte sie mit der Begründung, dass sie nicht ohne entsprechend Begleitung in die Stadt gehen würde, da dort auch immer wieder Neider auftauchen würden.
Sie verbrachten insgesamt zwei Daoi in Tidford, und speisten an jedem Mittag fürstlich bei ihren Gastgebern. Allerdings konnte niemand das ständige Nackenhaarsträuben abstellen, wenn sich eines der Spinnentiere über den Tisch bewegte. So waren sie froh, als sie nach dem Mittag des dritten Tages wieder fort konnten.
Kraenor schaffte es noch am letzten Tag einen Kartenzeichner aufzutreiben, der ihnen eine Übersicht von Afghardh bis hin zu Tarin erstellte und ihm diese inklusive einem gut versiegelbaren Lederfutteral verkaufte. Pia-Veliah versprach Sennerath noch, dass sie sich bei ihm melden würde, wenn sie etwas herausgefunden habe, doch außer ihm (und seiner Katze) wußte niemand so recht was damit anzufangen, worum es dabei ging. Es fragte aber auch niemand.